Weinpersönlichkeiten prägen die Zukunft des Médoc

Eine lange schnurgerade Straße, die dann und wann von einem Kreisverkehr unterbrochen wird, führt aus Bordeaux hinaus durch dichte Pinienwälder direkt ins Médoc. Die Vorfreude ist groß, nicht nur, weil man diese Weinregion zu den namhaftesten der Welt zählen kann. Schon bald taucht man ein in ein Meer von Reben, Château reiht sich an Château auf dieser Halbinsel zwischen Gironde und atlantischem Ozean. Man fühlt die Geschichte, die sich hier um den Wein rankt. Man fühlt aber auch den frischen Wind, der durch das Médoc weht: Neben weltberühmten Châteaux, machen Familienbetriebe und neue Generationen auf sich aufmerksam. Sie alle eint, die Suche nach Exzellenz. 

Von zwei großen Gewässern umgeben, dem Atlantik im Westen und der Gironde im Osten, liegt das Médoc am 45. Breitengrad. Auch innerhalb des Weinbaugebietes Bordeaux hat es eine einzigartige Position inne. Die Winzer:innen können sowohl auf regelmäßige Regenfälle bauen, als auch auf ein warmes und sonniges Klima während der gesamten Vegetationsperiode. Zudem verfügt das Médoc über ausgefallene Bodenformationen, die immer differenzierter betrachtet und ausgebaut werden. Mit 16.000 Hektar ist es eines der größten Weinanbaugebiete Frankreichs und das Königreich des Cabernet Sauvignon. In den „Assemblages“ findet man zudem Merlot, Cabernet Franc, Petit Verdot und Carménère.

Die insgesamt acht Appellationen des Médoc liegen alle am linken Ufer der Garonne und teilen sich auf in zwei regionale Appellation d’Origine Contrôlée (AOC): Médoc im Norden und Haut-Médoc im Süden. Die weiteren sechs Appellation d’Origine Contrôlée sind an jeweils eine Gemeinde gebunden: Saint-Estèphe, Pauillac, Saint-Julien, Moulis-en-Médoc, Listrac-Médoc, Margaux.

Die Suche nach Exzellenz entspringt aus verschiedenen Faktoren, allen voran der Faktor Mensch. Die Menschen haben diesen Landstrich geprägt, sie haben die außergewöhnliche Lage erkannt. Dank neuer Generationen wird die Geschichte dieser Region weiter geschrieben. So unterschiedlich wie die Menschen, sind auch ihre Unternehmungen im Médoc. Kaum eine Region der Welt wird so drastisch mit einem Stereotyp in Verbindung gebracht – dem Château. Doch gibt es bei weitem nicht nur diesen einen Unternehmenstyp. Vom individuell geführten Weingut bis zum generationenübergreifenden Familienbetrieb, kleine Anwesen findet man im Médoc ebenso wie leistungsstarke Genossenschaften, die auf beste Lagen und das Know-how ihrer Erzeuger zurückgreifen können.

Die folgende erste Auswahl stellt beispielhaft Winzer:innen des Médoc und ihre inspirierende Arbeitsphilisophie vor:

Von Natur aus rebellisch

Die Beweidung der Weinberge durch Schafe und Rinder, der bewusste Verzicht auf wertvolle Rebflächen zugunsten neugepflanzter Hecken und Bäumen, die strikte Eindämmung des Energieverbrauches und natürlich auch der Verzicht auf CMR-Produkte gehören zu den zahlreichen Maßnahmen, die Jean-Hubert und seine Schwester Mélanie im Rahmen der Zertifizierungen in nicht mal zehn Jahren mit Unterstützung ihrer Eltern umgesetzt haben. Seit sie Mitte der 2010er Jahre nach dem Studium und  diversen Stationen und Auslandsaufenthalten im Familienbetrieb Domaines Fabre eingestiegen sind, gestalten sie diesen bewusst um. „Die Zertifizierung für höchsten Umweltnutzen „Haute Valeur Environnementale“ (HVE), das „Bee Friendly-Label“ und die Zertifizierung „Bordeaux Cultivons Demain“, die vom CIVB lancierte Corporate Social Responsibility-Initiative, sind Ergebnisse, die sich sehen lassen können,“ freut sich Jean-Hubert. Die Weine stammen alle aus den Appellationen Haut-Médoc und Margaux. Von Natur aus rebellisch haben die Geschwister aber vor allem ein offenes Ohr für die Kunden und schaffen gerne neue Cuvées für sie. Da verzichtet man schon mal auf den Einsatz von Schwefel oder schafft einen Rotwein aus 100 Prozent Malbec, was vor allem ein neues, junges Publikum begeistert. „Mélanie und ich bringen einen innovativen und eher unkonventionellen Blick auf die Dinge, was sich ideal mit unseren Eltern ergänzt. Ein generationenübergreifendes Familienabenteuer, das im Médoc nicht selten zu finden ist.

Château Bellevue de Tayac 2016 – AOC Margaux, Cru Bourgeois

Zertifiziert        HVE & Bee friendly
Cuvée         70% Merlot, 20% Cabernet Sauvignon, 10% Petit Verdot – Barriques
Preis                46 €
Bezugsquelle  Dallmayr 

Stärken bündeln

Familienabenteuer gibt es selbst bei den leistungsstarken Genossenschaften des Médoc, wie z.B. Cave Grand Listrac, die 1935 von 20 mutigen Winzern in Listrac gegründet worden war, um gemeinsam Stärke zu zeigen. Mit gerade mal 24 Jahren ist Antoine Raymond einer der jüngsten und durch und durch Genossenschaftswinzer. 2021 übernahm er die Leitung von Château Capdet von seinem Vater Jean-Marie, der ihm nach wie vor zur Seite steht. Mit einem Diplom für Weinbau und Oenologie war es immer klar für ihn, die Arbeit seines Vaters fortzusetzen und gleichzeitig sein Wissen und eine ureigene Vision ins Familienunternehmen einzubringen. „Die Weinlese ist dabei immer der wichtigste Moment für meine Familie und auch für unsere Freunde. Viele Menschen helfen und unterstützen uns bei der Entstehung eines neuen Jahrganges von Château Capdet. Mit der gemeinsamen Arbeit und der Geselligkeit, die ebenso dazu gehört, bewahren wir jahrhundertealte Familientraditionen. So gestalten wir das Médoc von morgen,“ ist Antoine Raymond überzeugt, ebenso wie von der Tatsache, dass der genossenschaftliche Weinbau gute Zukunftsaussichten liefert. Dies zeigt sehr deutlich, der weitere Zusammenschluss der Cave Grand Listrac mit den Viticulteurs du Fort-Médoc in 2017. Unter dem neuen Namen „Vignerons Associés de Moulis, Listrac und Cussac-Fort-Médoc“ bündeln sich die Stärken und das Know-How von 43 Winzer:innen. Ziel der Genossen ist es, mit Leidenschaft Weine aus dem Médoc zu erzeugen, die vor allem durch ihr geniales Preis-Leistungs-Verhältnis überzeugen.

Château Capdet 2015 – AOC Listrac-Médoc, Cru Bourgeois

Cuvée              56% Merlot, 44% Cabernet Sauvignon – Barriques
Preis                17,95 €
Bezugsquelle  Leons Weinhaus

Mutig und eigenständig

Ein geniales Preis-Leistungs-Verhältnis ist auch die Maxime für die dynamische Winzerin Sophie Martin, die Mut bewies und 2009 ihr Château Julia mit den Rebflächen ihrer Eltern und Großeltern gründete. Schnell war der Entschluss gefasst, mit den fantastischen Lagen eigene Wege zu gehen und nicht mehr an die lokale Genossenschaft zu liefern. Als winziges Anwesen inmitten weltbekannter Grands Crus bewirtschaften Sophie Martin und ihr Partner Romain Carreau heute fünf Hektar Weinberge in der AOC Pauillac und überzeugen echte Weinfreaks mit ihren Weinen und ihrem Engagement als „Micro-Betrieb“. Beide stammen aus Winzerfamilien und setzen sich stark für die Umwelt ein.

Château Julia 2019 – AOC Haut-Médoc

Cuvée              60% Merlot, 40% Cabernet Sauvignon
Preis                18,50 €
Bezugsquelle  Lobenbergs Gute Weine

Gebündelte Kräfte für neuen Schwung

Neben Familienabenteuern erleben aber auch Klassiker wie Château Pibran eine Renaissance: ein hübsches Kartäuserkloster, das auf einer kleinen Anhöhe errichtet wurde, umgegeben von einem Schatten spendenden Garten und 17 Hektar Weinbergen auf besten Garonnaiser Kiesböden, die sich über einen der schönsten Hügel von Pauillac erstrecken. Die Weinberge wurden schrittweise umgestaltet und bestehen nun zu 55% aus Merlot und zu 45% aus Cabernet Sauvignon. Im Weinbau und in der Vinifikation profitiert Château Pibran heute von der Expertise und Schlagkraft des erfahrenen Teams von Château Pichon Baron, das ebenfalls zu AXA gehört: manuelle Lese, Annahme des Leseguts mit strenger Sortierung, Selektion innerhalb der Parzellen, angepasste Vinifikation, 18 Monate zu jeweils 50 Prozent im neuen und einjährig belegten Holz, bestmögliche Bedingungen auch bei der Abfüllung und der Lagerung. Das Ergebnis ist der Arbeit eines ganzen Teams von Enthusiasten zu verdanken, um die Persönlichkeit des Château Pibran zu beherrschen und den eleganten und raffinierten Charakter des Terroirs in den Vordergrund zu stellen.

Château Pibran 2017 – AOC Pauillac 

Cuvée              70% Merlot, 30% Cabernet Sauvignon 
Preis                39 €
Bezugsquelle  Kölner Weinkeller

Geduld ist der beste Weg zur Präzision

Geballte Frauenpower treffen wir im Château Le Crock im etwas nördlich gelegenen Saint-Estèphe, dessen Historie bis ins 18. Jahrhundert zurückreicht. Heute als Cru Bourgeois Exceptionnel ausgezeichnet, ist das Château seit 1903 im Besitz der Familie Cuvelier. Die Geschäfte führt Sara Lecompte Cuvelier unterstützt von der Önologin Isabelle Davin, die 2000 als eine der ersten Frauen Verantwortung für einen Médoc-Keller übernahm und bis heute große Freude daran hat, junge Önolog:innen auszubilden. Wenn sie in den letzten 22 Jahren etwas gelernt hat, ist es die Tatsache, dass nur Geduld zu absoluter Präzision im Wein führt. In enger Abstimmung mit einem talentierten Team setzen sich Sara und Isabelle mit den Veränderungen und Herausforderungen auseinander, um die Auswirkungen auf die Umwelt zu minimieren, damit die alten Rebstöcke im Einklang mit der Natur gedeihen können.  Viele der besten Cabernet Sauvignon-Parzellen sind beim Château Le Crock über 80 Jahre alt und stehen auf den tiefen Kiesböden, die den Charakter von Saint-Estèphe und ein langes Alterungspotenzial ausmachen.

Château Le Crock 2016 – AOC Saint-Estèphe Cru Bourgeois Exceptionnel

Cuvée             40% Cabernet Sauvignon, 46% Merlot, 8% Cabernet Franc, 6% Petit Verdot
Zertifiziert      HVE 3 und biologischer Anbau
Preis               34,90 €
Bezugsquelle Carl Tesdorpf

Anders sein, um im Médoc zu existieren 

Enthusiasmus legt auch Richard Barraud an den Tag, denn bereits vor der Gründung seines Weingutes Château Carmenère im Jahr 2006 hatte der Qualitätsfanatiker sehr genaue Vorstellungen, wo und wie seine Weine wachsen sollen. Sein Weingut mit 3,5 Hektar Weinbergen befindet sich in Queyrac nördlich von Pauillac. Feinkörniger Kies von Kalkstein durchsetzt prägt das außergewöhnliche Terroir, was nicht die einzige Eigenheit darstellt. Als leidenschaftlicher Winzer hat Richard Barraud klare Leitlinien  für Qualität und Andersartigkeit entwickelt. Vor allem wollte Richard seinen Rebsortenspiegel um interessante Erweiterungen bereichern. Dementsprechend widmete er sich früh den Rebsorten, die in Bordeaux fast ausgestorben waren, wie Petit Verdot und Carménère. „Die Reblaus hatte zum Verschwinden beigetragen, aber nicht nur das,“ zeigt sich Richard Barraud engagiert, „gerade der Carménère bringt nur kleine Erträge und wurde immer seltener angebaut. Schon deshalb wollte ich diese Rebsorte wieder in meine Assemblagen für Château Carmenère aufnehmen.“ Für den subtilen und lagerfähigen Grand Vin des Château Carmenère handelt es sich um eine Auswahl der besten Parzellen. Biologische Weinbergsarbeit und massivste Ertragsbeschränkungen mittels grüner Lese sind für Richard selbstverständlich. Vom Weinberg bis zur Flaschenabfüllung findet die gesamte Arbeit mit größter Sorgfalt im Familienkreis statt. Seine Engagement für die unbekannten Sorten hat sich ausgezahlt. Seinem positiven Beispiel folgen heute viele Familienbetriebe und große Namen im Médoc.

Château Carmenère 2018 – AOC Médoc – TOP 50 

Cuvée              54% Cabernet Sauvignon, 32% Merlot, 14% Carménère
Zertifiziert        in Umstellung auf HVE
Preis                25 €
Bezugsquelle  Lobenbergs Gute Weine

Tadellose Qualität als einziger Fußabdruck

Was die Böden angeht, könnte man bei einer Halbinsel davon ausgehen, dass sie weitestgehend homogen sind. Im Médoc ist das deutlich anders. Da sind zum Beispiel die tiefen Kiesböden wie in Saint-Estèphe oder im westlichen Saint-Julien. Sie findet man interessanterweise im äußersten Osten der Appellation Moulis wieder. Das Plateau Grand Poujeaux ist schon Ende des 19. Jahrhunderts für Komplexität und Reichhaltigkeit bekannt. Heute noch bestehen die Weinberge des Château Dutruch Grand Poujeaux zu 80 Prozent aus tiefen Kieselböden und zu 20 Prozent aus kalkhaltigen Lehm- und Sandböden.In 2016 übernimmt François Cordonnier jun. das Weingut von seinem Vater und Onkel und setzt die Vertiefung der Umweltmaßnahmen fort, um als einzigen Fußabdruck tadellose Weinqualitäten zu hinterlassen. 2018 folgen die Umweltzertifizierung als Haute Valeur Environnementale sowie der Beginn von Versuche in biologischen Landbau. Dabei treibt François Cordonnier jun. in erster Linie die ständige Suche nach noch besseren Qualitäten an. Längst hat er verstanden, dass dafür eine detailverliebte Differenzierung des historischen Terroirs die entscheidende Rolle spielen.

Château Dutruch Grand Poujeaux 2020 – AOC Moulis

Cuvée              63% Cabernet Sauvignon, 32% Merlot, 3% Petit Verdot, 2% Cabernet Franc
Zertifiziert        HVE 3 und biologischer Anbau
Preis                23,80 €
Bezugsquelle  Rindchen.de

Willkommen sein

Ein Plateau der unverzichtbaren Art hat das Château Gruaud Larose geschaffen: einen Turm der heute zu den schönsten Aussichten im Médoc zählt. Einige Treppen steigt man hinauf. Nicolas Sinoquet öffnet langsam die Klappläden. Ein atemberaubender Rundumblick tut sich auf – über das Rebenmeer, namhafte Nachbarn bis hin zum Flussufer und bei guter Sicht bis zum Atlantik. Hier kommt selbst der fachlich versierte Sinoquet ins Schwelgen. Aus dem Languedoc war er nach Gruaud-Larose gekommen, um für seinen Onkel, den bekannten Négociant Jean Merlaut, dieses Weingut in Richtung Zukunft zu lenken. Es gelingt ihm mehr als gut, obwohl er ganz nebenbei noch Brennereien in Cognac und im Gers betreibt. Biologisch zertifiziert ist Gruaud Larose seit 2022: die Umstellung auf Bio schien ihm notwendig, um die Unternehmensstruktur zu sichern und auf die aktuellen Umweltprobleme zu reagieren. Das Château zeigt sich gastfreundlich offen für Besucher, hält die Schwellen niedrig und bietet einen Strauß an Besuchs- und Verkostungsmöglichkeiten. Das ehrwürdige Château ist dabei ein guter Gegenpol zur zeitgemäß gestalteten Vinothek. Im Keller dominiert nicht nur höchste Präzision durch ein starkes Team, sondern auch ein reicher Schatz gereifter Jahrgänge. Neben dem Grand Vin sollte man immer auch ein Auge auf den Sarget de Gruaud Larose werfen.

Sarget de Gruaud Larose 2017 – AOC Saint-Julien – BIO

Cuvée              61% Cabernet Sauvignon, 29% Merlot, 7% Cabernet Franc, 3% Petit Verdot
Zertifiziert       Biologischer Anbau
Preis               28 €
Bezugsquelle Millesima.de